Alle Gespräche

Multilingualität ist ein bedrohter Reichtum

Dieser Artikel ist Teil der Gesprächsreihe "Digitale Interaktion", in der Viktoria Pammer-Schindler, Mia Bangerl und Franziska Gürtl Gespräche mit Wissenschaftler*innen aus verschiedensten Disziplinen führen, zum Beispiel aus der Psychologie, Philosophie, Biologie. Dabei fragen sie nach Perspektiven, Theorien und Fragestellungen aus der jeweiligen Disziplin und dem Forschungsschwerpunkt der Gesprächspartner*innen in Bezug auf das Thema "Digitale Interaktion". Im online Standard wurde eine gekürzte Version des Gesprächs veröffentlicht. Alle Kurz- und Langformen der Gesprächsreihe sind hier gelistet.

 

Dieser Text fasst ein Gespräch mit Şebnem Bahadir-Berzig und Stefan Baumgarten, geführt von Viktoria Pammer-Schindler, zusammen. Beide haben eine Professur für Translationswissenschaft an der Karl-Franzens-Universität in Graz und befassen sich mit den Wechselwirkungen von Translationstechnologien und Gesellschaft.

 

Zu Beginn des Gesprächs darf ich Sie noch einmal bitten, sich kurz vorzustellen, und zu erklären was eigentlich Gegenstand Ihrer Forschung ist.

 

Stefan Baumgarten: Im Rahmen meiner Professur beforsche ich den Themenkomplex Translation und digitaler Wandel. Translation ist im breiteren Sinn ein Synonym für transkulturelle Kommunikation, und umfasst sowohl mündliche als auch schriftliche Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg. Ich habe nun in der Professur die Aufgabe, die technologiebedingten Änderungen in der Praxis der schriftlichen und mündlichen Sprachvermittlung zu analysieren. Dies erfordert natürlich eine analytische Betrachtung der sogenannten "soziotechnischen Schnittstelle" - wie wirken neue Technologien und Gesellschaft, und insbesondere eben die Praxis der mündlichen und schriftlichen Sprachvermittlung, wechselseitig aufeinander ein und verändern sich in diesem Zusammenspiel. Im Moment interessiere ich mich sehr für die seit ca. 10 Jahren weit verbreitete, in der Tat revolutionäre, neuronale Maschinenübersetzung. Hierzu sind gigantische Textkorpora in Maschinenübersetzungssystemen gespeist und wachsen mit jeder neu eingespeicherten Übersetzung durch das Prinzip des maschinellen Lernens. Die automatischen Übersetzungen basieren auf dem Abgleich von durch Algorithmen generierten Wahrscheinlichkeiten, ein neuronales Maschinenübersetzungs-System durchkämmt also seinen Textkorpus und berechnet gleichzeitig die höchste Wahrscheinlichkeit, bspw. der englischen Zielentsprechung I am für die deutsche Ausgangsentsprechung Ich bin. Auf diesem Prinzip basieren vielgenutzte neuronales Maschinenübersetzungs-Systeme wie Google Translate. Bei großen Sprachen sind die Datenmengen - also die im System verankerten Textkorpora - sehr groß, und daher ist auch die Translationsqualität zum Beispiel zwischen Englisch und Deutsch, oder zwischen Spanisch und Französisch, besser als diejenige zwischen Englisch und Türkisch. In meinem Forschungszweig möchte ich diese sich rasant weiterentwickelnde Technologie aus soziologischen Perspektiven betrachten. Darüber hinaus gibt es auch innerhalb verschiedenster Sprachenpaare, zwischen denen übersetzt wird, ethische Fragen: Wie viel Bias - also unhinterfragte gesellschaftliche Vorannahmen - hat so ein Maschinenübersetzungssystem? Es ist zu erwarten, dass diese Systeme gängige stereotypische Wahrnehmungen und Kommunikationen unserer Gesellschaft reproduzieren. Um ein Beispiel zu geben: Berufsbezeichnungen erhalten in der Regel eher eine männliche Übersetzung.

 

Şebnem Bahadir-Berzig: Auch ich bin Professorin für Translationswissenschaft, aber meine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Translation und Migration, mit einem besonderen Fokus auf dem Dolmetschen als interkulturelle Kommunikationshandlung, sowohl in Form einer professionellen Tätigkeit als auch durchgeführt von mehrsprachigen Menschen in alltäglichen Situationen. Für mich stehen dabei die Menschen, also die Akteure und Akteurinnen im Vordergrund, sowie die Vielfalt an Dolmetschformen und -situationen, immer eingebettet in einen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und persönlichen Kontext. So interessiere ich mich gleichermaßen für das Konferenzdolmetschen wie auch Dolmetschen in der Psychotherapie oder im Asylkontext. Neben einer akteurszentrierten und partizipativen Forschung über Sprach- und Kulturmittler und - mittlerinnen im Migrationskontext entwickle ich seit vielen Jahren innovative, studierendenzentrierte pädagogische Ansätze und didaktische Methoden für eine Dolmetscherausbildung. In dieser stehen die Körperlichkeit der Translation, das Eingebettetsein der Translatoren und Translatorinnen in Kontexte und Situationen, sowie die politischen, sozialen, kulturellen, biographischen Einflüsse auf Translationshandlungen im Vordergrund. Seit einigen Jahren spielt sowohl in der Ausbildung als auch in der Praxis der Dolmetscher und Dolmetscherinnen Digitalisierung und Technologisierung eine immer größer werdende Rolle. Hier berühren und überschneiden sich unsere Forschungsschwerpunkte immer deutlicher. Zuvor war es das Konferenzdolmetschen, das als die professionellste Form des Dolmetschens galt, und gleichzeitig als hochtechnologisiert und technikaffin. Heute stehen alle Dolmetscher und Dolmetscherinnen, egal ob Professionelle oder Laien, vor der großen Herausforderung, dass z.B. das Ferndolmetschen zur Norm wird und mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz immer mehr teil- oder auch vollautomatisierte Dolmetschanwendungen entwickelt werden. Diese Apps werden bisher nur für bestimmte Fachgebiete und innerhalb eines standardisierten Sprachgebrauchs eingesetzt (wie z.B. MiTA, die Migration Translation App der UN). Allerdings lässt sich doch schon erahnen, dass es nicht lange dauern wird, bis bestimmte stark regelbasierte mündliche Texte in Echtzeit, speech-to-speech verdolmetscht werden. Die Zusammenarbeit unserer Forschungsschwerpunkte wird deswegen in den kommenden Jahren weiter wachsen, da bin ich mir sicher.

Maschinenübersetzungen ändern den Dolmetsch-Beruf

Ein Aspekt der Digitalisierung mit dem Sie sich beide befassen, sind die Auswirkungen von Technologien auf das Übersetzen und Dolmetschen. Herr Baumgarten, Sie hatten das ja vorher schon angesprochen mit den Maschinenübersetzungssystemen. Bei diesen besteht die Gefahr, dass sie die Vergangenheit fortführen, und Sprache und Kultur sozusagen einfrieren - oder zumindest immer den "offline"-Entwicklungen von Sprache und Kultur hinterherhinken. Ontologisch würde ich behaupten, wir Menschen sind auch deswegen so unterschiedlich im Vergleich zu Maschinen, weil wir nicht nur die Vergangenheit fortführen, sondern in der Lage sind, Neues zu schaffen.

 

Stefan Baumgarten: Für mich ist es wichtig, dass wir die kreative menschliche Arbeit, die beim Übersetzen von Translatoren und Translatorinnen geleistet wird, in Zukunft noch stärker sichtbar machen. Das heißt, dass wir in Übersetzungsprozesse den Menschen so integrieren müssen, dass er nicht ganz aus dem notwendigen kulturellen Aushandlungsprozess hinausfällt. Der klassische Übersetzungsprozess eines schriftlichen Textes ist ja folgender: Ich rezipiere einen Text, ich übersetze ihn, dann editiere ich ihn und gebe dann die finalisierte Version weiter an einen Kunden, wobei die einzelnen Arbeitsschritte natürlich nicht immer strikt linear ablaufen. Dieser, wenn man so will, klassische Prozessablauf, ist heute kaum noch der Fall, höchstens im literarischen, also hochkreativen Bereich der transkulturellen Kommunikation. Der Prozess des schriftlichen Übersetzens ist in der heutigen Zeit zu großen Teilen vom Einsatz digitaler Übersetzungstechnologien geprägt. Grundsätzlich wird dabei mit zwei Hauptarten von Systemen gearbeitet, nämlich zum Einen mit auf künstlicher Intelligenz und Sprachdaten basierten Maschinenübersetzungssystemen, und zum Anderen mit sogenannten Translation Memory Systemen, welche den menschlichen Übersetzern und Übersetzerinnen passende Übersetzungslösungen aus einer großen Datenbank vorschlagen, die dann jeweils akzeptiert, umgeändert oder abgelehnt werden können.

Die größte Menge an heutzutage übersetzten Texten, sogenannte Funktionstexte, etwa Gebrauchsanleitungen, werden heute über den Einsatz digitaler Übersetzungstechnologien bearbeitet. Diese Texte werden immer häufiger von Menschen noch vor der Maschinenübersetzung prä-editiert, um die Qualität der Maschinenübersetzung zu verbessern damit der manuelle Post-Edit danach weniger aufwändig ist. Das Berufsbild der Übersetzer und Übersetzerinnen hat sich also substanziell geändert. Und die Übersetzerin, der Übersetzer, können bei der Aufgabe des Post-Editing gar nicht mit dem maschinellen Übersetzungssystem interagieren. Sie bekommen einfach eine Übersetzung und können die verwenden oder auch nicht.

 

Şebnem Bahadir-Berzig: Das Prä-Editieren und Post-Editieren sind wichtige Aufgabenbereiche für zukünftige Übersetzer und Übersetzerinnen. Diese Tätigkeitsbereiche, die auch andere Fertigkeiten einfordern als das Übersetzen in Eigenregie, individuell, selbstverantwortlich, traditionellerweise auch in einer gewissen Einsamkeit, sind nunmehr fundamental für die Ausbildung der zukünftigen Translatoren und Translatorinnen. Wir haben es mit Übersetzungsprozessen zu tun, an denen unterschiedliche Menschen und Maschinen beteiligt sind. Übersetzungen sind inzwischen kooperative Produkte. Wenn man es sehr weit denkt ist, dann sind der/die Prä-Editor*in, die Übersetzungsmaschine und der/die Post-Editor*in schon so etwas wie Kolleg*innen mit einer bestimmten Aufgabenteilung. Das ist ein bisschen so als wenn ich mit einer Kollegin im Büro sitze und denke, also für die Eva-Maria muss ich noch eine bestimmte Hintergrund-Information zur Verfügung stellen, oder den Text eben vorab ein bisschen anders aufbereiten.

 

Wobei die Maschine hier schon maximal im Bereich eines Lehrlings wäre, für den man alles ganz genau aufbereiten muss. Für Kollegen und Kolleginnen auf Augenhöhe würde ich mir jetzt nicht erwarten, dass ich etwas ganz speziell für diese formulieren muss. Ich würde eher schreiben, wie ich es für gut halte, und würde mir erwarten, dass der Kollege, die Kollegin zurückfragt. Hier findet eine Nivellierung nach unten statt, oder etwas anders formuliert: Hier findet eine Anpassung der menschlichen Sprache an die Sprache statt die dazu dienen soll, dass Maschinen den Text verstehen. Es gibt aber ja auch das Übersetzen der gesprochenen Sprache, was hat sich hier durch die Pandemie, aber vielleicht überhaupt laufend durch die Digitalisierung, verändert?

Durch die Digitalisierung ändert sich jede Art des Dolmetschens

Şebnem Bahadir-Berzig: Die Pandemie hat uns mit der unabwendbaren Situation konfrontiert, dass sich in allen Bereichen des Dolmetschens die Technologie zwischen die kommunizierenden Personen gestellt hat. Bisher war Dolmetschen oft eine physische, körperliche Interaktion zwischen drei Personen oder Parteien; die Gesprächspartner und -partnerinnen sitzen am Tisch zum Beispiel. Im Grunde genommen haben wir selbst beim klassischen simultanem Konferenzdolmetschen eine triadische Kommunikationssituation, der Dolmetscher oder die Dolmetscherin ist zwar in der Kabine, aber die Kabine ist da, in der Nähe, meist im Konferenzraum selbst. Aber diese Konstellation hat sich schon vor einigen Jahren geändert. Das Dolmetschen für Konferenzen aus der Ferne war schon dabei, sich fest zu etablieren. Aus wirtschaftlichen und organisatorischen Gründen heraus wurde das in der Pandemie aber plötzlich viel sichtbarer. Zum triadischen Gespräch, das ohnehin schon eine Zumutung für eine ursprünglich als dyadisch konzipierte Kommunikationssituation ist, kommen nun auch noch technologische Störfaktoren hinzu. Das gilt besonders für Situationen außerhalb des Konferenzbetriebs, für Geschäftsverhandlungen, Therapie-, Beratungs- und Arzt-Patient-Gespräche. Für eine Dyade ist der oder die Dritte - der übersetzt - eine Person, die zunächst einmal nicht vorgesehen ist, also irgendwie verstört. Sie ermöglicht eine andere Frontenbildung und neue Beziehungskonstellationen. Wir erlegen dem Dolmetschen ja üblicherweise so eine Idealvorstellung auf: Dolmetschen sollte möglichst reibungsfrei, störungsfrei, möglichst genau, korrekt und objektiv sein. Neutral zu übersetzen, das ist die Supernorm des Dolmetschens. Aber das ist natürlich ein Ideal, und es wird in der Dolmetschforschung auch schon seit längerem in Frage gestellt. In meiner Forschung arbeite ich akteurzentriert, das heißt, ich frage, was für eine Rolle, Funktion, Aufgabe, Identität dieser Mittler oder diese Mittlerin einnimmt, vor dem Hintergrund der eigenen Biographie und von politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen. Ich frage mich auch, welche Auswirkungen die Dolmetschhandlungen auf die verdolmetschte Situation haben. Ich finde es nun sehr interessant, wie diese Dazwischen-Position des Dolmetschers oder der Dolmetscherin nun verkompliziert wird: Zu der Humanfilterung durch den Dolmetscher oder die Dolmetscherin kommt nun auch ein technologischer Filter dazu in diesem Dazwischen-Raum. Der Dolmetschfilter taucht sozusagen potenziert auf. Wir entfernen uns somit immer mehr von der Vorstellung einer reibungslosen Übertragung. Das bringt eine erfrischende Desillusionierung mit sich.

 

Stefan Baumgarten: Interessant finde ich dabei, dass das Konferenzdolmetschen ja schon seit Jahrzehnten hochtechnologisiert ist, und gleichzeitig einen sehr hohen Status hat. Viel höher als das kommunale Dolmetschen unter Migranten zum Beispiel. Es ist hoch angesehen, es ist mit hoher Professionalität verbunden in der allgemeinen Wahrnehmung. Insbesondere das Simultandolmetschen auf Konferenzen, die Tätigkeit der simultanen Sprachübertragung, wird von der Gehirnleistung her als hochqualitativ - fast als übermenschliche Leistung - betrachtet, und mit der Präzisionsarbeit von Piloten, Pilotinnen, oder von Chirurgen und Chirurginnen verglichen. Dennoch wird nun, durch den Einbruch des Digitalen, durch welchen Konferenzdolmetscher und -dolmetscherinnen nun einen Schritt weiter vom physischen Geschehen weggerückt sind, die Körperlichkeit des Dolmetschen wieder eher gesehen. Der Mythos der fast gleichzeitigen Dolmetschung in eine Zielsprache, von einer Person die - weit vom Geschehen - in einer Kabine agiert, wurde nun durch die Pandemie etwas entzaubert. Was sich geändert hat: Früher saßen die Konferenzdolmetscher und -dolmetscherinnen in der Kabine und kommunizierten sitzend zwar im gleichen Raum, aber dennoch über Kopfhörer und Mikrofon. Während der Pandemie saßen die Konferenzdolmetscher und -dolmetscherinnen, ebenso wie auch alle anderen Beteiligten, jeder allein bei sich daheim. Die Dolmetscher und Dolmetscherinnen waren nun um einiges sichtbarer im kleinen Rechteck des großen rechteckigen Bildschirms, und kommunizierten ebenso über Kopfhörer und Mikrofon.

Übersetzen ist Interpretieren

Ich möchte noch einmal auf die Maschinenübersetzungen und das Idealbild des Dolmetschens zurückkommen. Sie hatten ja vorher davon gesprochen, dass der Dolmetscher oder die Dolmetscherin in diesem Idealbild neutral überträgt. Das Weltbild das dem zugrunde liegt ist ja, dass es für alles Gesprochene oder Geschriebene eine perfekte Übersetzung gibt, und wenn der Übersetzer diese findet, dann ist es richtig, und wenn nicht, dann ist es schon ein bisschen falscher. Jetzt würde ich aber natürlich meinen, dass in jeder Übersetzung sehr viel Interpretation steckt, in welche der Hintergrund und natürlich damit das gesamte Hintergrundwissen des Übersetzers einfließt. Aus der Informatik kommend traue ich mich zu sagen: Dieses Hintergrundwissen haben Maschinen nicht; die maschinellen Übersetzungssysteme haben ein extrem beschränktes Hintergrundwissen. Sie können also eine vorgegeben neutrale Übersetzung machen, aber in Wahrheit verstehen sie natürlich nicht was sie übersetzen. Sie reproduzieren Wissen aus einem Korpus oder aus vorgegebenen Regeln ohne etwas beizutragen.

 

Stefan Baumgarten: Regelbasierte Übersetzungssysteme, also durch grammatische Regeln gesteuerte Systeme, waren die ersten, die in den 40er, 50er Jahren entstanden sind. Die heutigen Maschinenübersetzungssysteme basieren, wie oben erwähnt, auf künstlicher Intelligenz und der Methode des maschinellen Lernens. Wenn man so will, dann fungieren Sprachdaten als das "Benzin" dieser Systeme. Die Sprachdaten existieren zu einem großen Anteil aus parallel alignierten sprachlichen Einheiten - also bspw. könnte man eine solche parallel gespeicherte Funktionseinheit, wie ebenfalls oben erwähnt, als die Entsprechung von Ich bin zu I am bezeichnen. Und mehrere Millionen, mittlerweile Milliarden und mehr, solcher Dateneinheiten, bilden dann ein dem System zugeteilten Sprachkorpus, welches mit jeder einzelnen neuen Übersetzung wächst. Durch das stetige Anwachsen des Datenkorpus und die gleichzeitige algorithmische Berechnung von wahrscheinlichen guten Übersetzungen wächst dann auch die Qualität des übersetzten Outputs. Es ist aber wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Texte in Form von Textsorten existieren und somit sogenannte Textsortenkonventionen aufweisen. Und neben den in der natürlichen Sprache enthaltenen Ambiguitäten - bspw. die Bank, auf der ich sitze oder die Bank, wo ich mein Geld hinbringe - tun sich auch die neuronalen Maschinenübersetzungs-Systeme weiterhin ebenfalls schwer, Textsortenkonventionen zu erkennen. Im Englischen weisen Anleitungen z.B. schon seit langem eine eher dialogische Form auf, im Deutschen ursprünglich eher eine nominalisierte Form. Im Englischen sind also zum Beispiel die Überschriften eher als Frage formuliert: "Wie kann ich dieses Medikament verwenden?" Im Deutschen wäre das daher ursprünglich eher ein Kompositum: "Verwendung des Medikaments". Durch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Globalisierung - wohlgemerkt nicht ausschließlich durch Maschinenübersetzung - haben sich solche Textsortenkonventionen geändert, so dass wir jetzt auch im Deutschen seit einigen Jahren diese Überschriften in Frageform haben. Natürlich wird die qualitativ stetig zunehmende Maschinenübersetzung diesen Prozess der Vereinheitlichung solcher Textsortenkonventionen - und zwar in allen Sprachen - weiter ankurbeln. Bei hochkreativen literarischen Texten hingegen, welche natürlich ebenfalls Konventionen folgen aber wesentlich komplexeren, geht es viel mehr um sprachliche und stilistische Nuancen sowie um kulturelle und ästhetische Normen.

 

Şebnem Bahadir-Berzig: Das hat natürlich auch mit der Vorstellung zu tun, was literarisch, was ästhetisch ist. Ich meine, das ist sehr unterschiedlich von Sprache zu Sprache und von Kultur zu Kultur. Und es ist zeitgebunden. Für literarische Texte gibt es natürlich auch Konventionen, diese sind aber nicht so statisch. In der Literatur gibt es das Potenzial der Kreativität, die Forderung nach Kreativität. Literatur lebt also nicht in der Vergangenheit, sondern sie lebt davon, dass immer wieder Neues erprobt wird und Regeln gebrochen werden. Konventionen zu brechen kann allein eine kreative Leistung sein. Und wieder muss ich einräumen: Es gibt natürlich heute auch schon Literatur und Kunst, die von künstlicher Intelligenz geschaffen wird, unter menschlicher Anleitung. Bei diesen Projekten geht es eben auch darum, das Regelbasierte, Konventionelle, Normgebundene so weit wie möglich zu brechen und auch im Maschinellen möglichst viel Variationen, neue Kombinationen, so ein bisschen etwas wie Kreativität, zu ermöglichen.

 

Zur Interpretation bedarf es manchmal eines tiefgehenden Verständnisses, und sehr viel Hintergrundwissen. Zusätzlich würde ich meinen, dass man in der Übersetzung auch Schwerpunkte setzen kann, zum Beispiel in punkto Sprachmelodie, andere ästhetische Merkmale, oder auch inhaltliche.

 

Şebnem Bahadir-Berzig: Genau, und es gibt natürlich daher nicht genau die eine, die perfekte Übersetzung. Die Geschichte der Bibelübersetzungen zeigt uns, wie viele Versionen es geben kann - immer abhängig von den kulturellen, sprachlichen, aber auch gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Texte altern, müssen immer wieder übersetzt werden, um überleben zu können - auch und besonders, wenn heilige oder literarische Texte den Anspruch erheben, universell zu sein. Manche heiligen Texte werden als unübersetzbar postuliert, wie zum Beispiel der Koran. Diese Unübersetzbarkeit wird auch oft als ein Merkmal der Poesie gefeiert. Es ist ja tatsächlich so, dass es unmöglich ist, genau das zu reproduzieren, was im Originaltext gesagt wurde oder was der Sprecher oder die Sprecherin in der einen Sprache sagt. Trotz oder auch wegen dieser so gern postulierten Unmöglichkeit übersetzen Menschen mit, in und aus unterschiedlichen Sprachen seitdem sie in Kontakt miteinander getreten sind. In der Translationswissenschaft sind wir nun schon so weit, dass wir uns nicht mehr nur mit der großen Idee der Übersetzbarkeit beschäftigen, als Ideal oder auch als Illusion, sondern uns vielmehr der Pragmatik, der Praxis bzw. den Translationspraktiken widmen. Und in diesem Zusammenhang spielt die Digitalisierung eine wichtige Katalysatorrolle: Gerade der Moment, in dem Übersetzen und Dolmetschen nun mit Technologisierung zusammenfällt, macht uns klar, wie human, flexibel und vielschichtig jeglicher Dolmetsch- bzw. Translationsakt ist.

Multilingualität ist unser Reichtum

Man kann die Bibel also nur übersetzen, wenn man einen theologischen Hintergrund hat, sich mit Spiritualität und auch mit der damaligen Kultur befasst hat zum Beispiel. Zusätzlich entsteht jede Übersetzung als Interpretation auch vor einem bestimmten kulturellen und historischen Hintergrund. Das wäre dann doch genau das, woran Maschinenübersetzungen eigentlich scheitern.

 

Stefan Baumgarten: Eine heutzutage leider noch immer in vielen Bereichen idealisierte und auch angestrebte "perfekte" Übersetzung trüge auf Dauer dazu bei, kulturelle und sprachliche Diversität aufzulösen. Aus einer soziologischen Perspektive denken wir in den Translationswissenschaften hier an die Aufrechterhaltung der kulturellen Diversität der Welt. Ganz allgemein gesprochen reduziert eine perfekte Maschinenübersetzung unsere global noch mannigfaltigen kulturellen und sprachlichen Möglichkeiten und Ausdrucksformen. Denn perfekte (Maschinen)Übersetzungen zwischen allen Sprachen der Welt würde bedeuten, dass sich weltweit die Kulturen und Gesellschaften - wahrscheinlich durch die Globalisierung - untereinander schon fast gänzlich kulturell assimiliert hätten. In diesem Sinne ist die Anpassung von Textsortenkonventionen von Gebrauchstexten im Deutschen an die Konventionen des Englischen, also die frühere Verwendung einer monologischen Nominalform - "Nebenwirkungen" - in eine dialogische Frageform - "Welche Nebenwirkungen hat dieses Medikament?" - eine solche Assimilierung im Kleinen. Das kann letztlich auch in eine totalitäre politische Entwicklung übergehen. Ich beschäftige mich zurzeit mit der biblischen Erzählung des Turmbau zu Babel. Gott hat die Völker dazu verdammt, dass sie sich nicht mehr verstehen, weil sie sich angemaßt haben, einen Turm zu bauen der Gott zu nahekam. Wenn man das politisch interpretiert, ist diese Verdammung aber auch eine Art radikale Kritik am Konformismus. Eine einzige Sprache liefert mehr Möglichkeiten, die Welt zu beherrschen.

 

Wenn ich das interpretieren darf: Ich hätte hier sofort gedacht an Wittgensteins Aussage "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." Insofern ist die Diversität, die Multilingualität, dann die Kehrseite davon, denn durch die Diversität von verschiedenen Sprachen haben wir als Menschheit weitere Grenzen. Weil jede Sprache auch eine bestimmte Art zu denken und Kultur operationalisiert, und sich auch gemeinsam mit einer Kultur, in Wechselwirkung sozusagen, entwickelt.

 

Stefan Baumgarten: Und das ist, neben der Biodiversität, also der ökologischen Diversität des Planeten, genau unser Reichtum, der Reichtum den wir haben.

 

Das Maschinelle ist vor allem in menschlichen Extremsituationen manchmal genau das, was gebraucht wird

Şebnem Bahadir-Berzig: In meiner Praxis, nicht nur als Forscherin, sondern auch als Übersetzerin und Dolmetscherin und als Lehrende, halte ich es für ein wichtiges Bekenntnis, dass die Translationswissenschaft und -praxis Kulturen nicht so verbinden und verwischen will, dass wir am Ende eine Monokultur und eine Monosprache haben. Wir müssen immer wieder betonen, dass Translation über kulturelle Grenzen hinweg bedeutet, zwischen den Kulturen zu kommunizieren. Natürlich vermischen sich dabei Sprachen und Kulturen, nähern sich an und transformieren sich. Und dieses Bekenntnis ist auch für die Weiterentwicklung der maschinellen Translationssysteme immens wichtig: Es geht nicht darum, eine Welt der wenigen und perfekt untereinander verständlichen Sprachen und Kulturen zu erschaffen. Ich plädiere daher immer für einen hybriden Ansatz, also dass maschinelle Translationssysteme von menschlichen Reflexionsprozessen begleitet werden. Hier kommt die Ethik mit ins Spiel, die Gleich- und Daseinsberechtigung von Sprachen und Kulturen auch in digitalen Kontexten. Die kritischen Diskussionen in der Post- und Transhumanismus-Debatte kommen nun auch langsam aber sicher in der kritischen Forschung zur Digitalisierung in der Translationswelt an. Allerdings muss ich hier dann gleich wieder des Teufels Advokatin spielen und genau gegenteilig argumentieren:

Es gibt Situationen, wo Technologie, und auch die vollautomatisierte Maschinenübersetzung, mit all den Schwächen, die wir bereits diskutiert haben, ihre absolute Berechtigung haben und absolut notwendig sind. Nehmen wir zum Beispiel das Ferndolmetschen. Das ermöglicht Kommunikation in Situationen, in denen diese triadisch in physischer Präsenz nicht möglich ist, zum Beispiel in Pandemien, in Notsituationen. Zum Beispiel auch in Situationen, die für die Dolmetscher und Dolmetscherinnen potenziell gefährlich sind, wo durch die Ferne und die Technologie die Anonymität und der Schutz der Dolmetscher*innen besser gewährleistet ist. Es wird ja auch im kriminalistischen Bereich gedolmetscht, vor Gericht, in Haftanstalten. Ein anderes Setting ist das Dolmetschen in Krisengebieten, zum Beispiel bei Erdbeben, wenn Dolmetscher*innen zugeschaltet werden können. Oder Hilfsorganisationen verwenden automatische Übersetzungssysteme, um schnell auf einfachste Art und Weise mit Überlebenden zu interagieren.

 

Das ist ein gutes Beispiel, hier ist die Qualität der Übersetzung vielleicht auch nicht berauschend, aber auch nicht das wichtigste, sondern die Kommunikation muss zuallererst einmal überhaupt möglich werden. Und dabei hilft automatische Maschinenübersetzung auf alle Fälle.

 

Şebnem Bahadir-Berzig: Genau, hier gibt eine andere Zielsetzung. Auch rudimentäre Dolmetsch-Apps, so wenig qualitätsvoll sie aus professioneller Sicht sind, können Leben retten. Während der ganzen Fluchtbewegungen in den letzten Jahren waren und sind diese stark im Einsatz. Ich sehe das also auch aus einer migrations- und vor allem gesellschaftspolitischen Perspektive. Die Apps wurden von Geflüchteten zum Beispiel in Räumen eingesetzt, in denen menschliche Dolmetscher und Dolmetscherinnen nicht da waren, auch oft nicht da sein konnten und durften, weil sie nicht vorgesehen oder auch erwünscht sind.

Wer übersetzt, übt Macht aus

Stefan Baumgarten: Translation ist eine soziale Interaktion, und vermehrt eine zusätzlich digitale Interaktion. In jedem Fall ist Translation, sowohl Dolmetschen als auch Übersetzen, oft eine elementare Hilfeleistung, wie Şebnem gerade betont hat, und zudem auf der Gegenseite auch oft eine Art Bedrohung. Die Wahrnehmung von Translation als menschlicher Beistand, aber auch als potentielle Gefahr, kann in der Tat jeweils als natürliche Reaktion betrachtet werden, denn Translation ist immer eine Art Überschreitung, wenn ich die Worte einer oder eines Anderen - einer oder eines Fremden - interpretiere, also nicht so einfach im Raum stehen lasse.

 

Şebnem Bahadir-Berzig: Wir haben bisher eher davon gesprochen, dass Translation Brücken baut, Menschen zusammenbringt. Wir haben also Translation grundsätzlich als positiv, als harmonisierend gesehen, als das Überwinden von Grenzen. Translation kann aber auch Grenzen aufbauen, und betonen. Sowohl das Abreißen von Grenzen als auch das Errichten von Grenzen durch Translation kann subversiv sein.

 

Stefan Baumgarten: Translation im literarischen Bereich kann ebenfalls sowohl Brücken bauen als auch neue Grenzen ziehen. Das ist eine Machtfrage. Es gibt diese Diskussion hinsichtlich der strukturellen Unsichtbarkeit der literarischen Übersetzer und Übersetzerinnen, und hinsichtlich ihrer angeblichen Servilität, indem sie sich schon seit Jahrhunderten meist den kulturellen und sprachlichen Normen der Kultur und Sprache unterwerfen, in welche sie übersetzen. Nehmen wir als Beispiel die englischsprachige US-amerikanische Kultur, die sowohl im Soft Power Bereich als auch im Hard Power Bereich dominiert. Diese Kultur, genauer gesagt, das US-amerikanische Literatursystem, importiert Literaturen aus aller Welt, wobei diese fremdsprachigen Literaturen tendenziell auf eine bestimmte Art und Weise übersetzt werden, nämlich auf eine, die das Fremde kleiner macht. Das Fremde wird kulturell und ästhetisch assimiliert, wodurch die fremdkulturellen Elemente zu Randerscheinungen geraten und somit vom US-amerikanischen Lesepublikum weniger direkt wahrgenommen werden. Sie haben ja beim Übersetzen letzten Endes zwei Optionen: Sie domestizieren einen Text, damit er sich eher nahtlos in die Erwartungshaltung des Zielpublikums und somit des Literatursystems einfügt, oder sie verfremden ihn, wodurch die kulturellen Elemente des importierten Textes authentischer aufscheinen. Natürlich müssen in diesem Zusammenhang auch wirtschaftliche Fragen berücksichtigt werden. Wie dem auch sei, das Anpassen und Domestizieren ist auch eine Art - bewusste oder unbewusste - Selbst-Zensur, mit der sich textschaffende Übersetzer und Übersetzerinnen auch ohne direkte Zensur oder direkte Vorgaben an zielkulturelle Normen der US-amerikanischen "Kulturindustrie" (wie die Verfechter der Kritischen Theorie, Theodor Adorno und Max Horkheimer argumentieren würden) anpassen.

 

Şebnem Bahadir-Berzig: Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Spivak plädiert zum Beispiel dafür, dass Übersetzen als intimste Lektüre betrachtet wird und dass hier auch ein Lesen gegen den Strich praktiziert werden sollte. Sie kritisiert, dass zum Beispiel Literatur aus dem indischen Raum immer gleich glatt ins Englische übersetzt wird, egal ob der Ursprungstext von einem westlich ausgebildeten Bildungsbürger in einer indischen Sprache verfasst ist oder von einer Frau, die revolutionäre und regional gefärbte feministische Texte schreibt. In der Übersetzung werden diese Unterschiede dann geglättet, wenn keine intime Auseinandersetzung mit dem Originaltext stattfindet und in der Übersetzung nicht auch subversive sprachliche Wege beschritten werden. Diese Beispiele zeigen die Macht der der Übersetzung, die sich meist in der Assimilation zeigt.

 

Stefan Baumgarten: Aus dem Wissenschaftsbereich vielleicht noch zwei Beispiele: Bei dem französischen "Bestsellerphilosophen" Michel Foucault ist es augenscheinlich, dass er "domestiziert" übersetzt wurde, damit er flüssiger und einfacher gelesen werden kann in der englischen Übersetzung als im Französischen. Bei Adorno ist es bei den älteren Übersetzungen aus den 70er und 80er Jahren das Gleiche; er ist im Englischen leichter zu lesen als im Deutschen. Es sei jedoch zu erwähnen, dass nachfolgende Übersetzungen, bspw. von dem US-amerikanischen Kultur- und Sozialwissenschaftler Robert Hullot-Kentor, bewusst "verfremdend" angefertigt wurden, um dem sehr idiosynkratischen wissenschaftlichen Habitus und Stil Adornos auch in all seiner Fremdartigkeit für den englischsprachigen Wissenschaftsdiskurs gerecht zu werden.

 

Şebnem Bahadir-Berzig: Diese Machtfrage wird auch beim Dolmetschen sichtbar, z.B. im Flüchtlingskontext, bei Asylbewerbungsgesprächen mit Geflüchteten aber auch in der Therapie und in Beratungssettings. Dolmetscher und Dolmetscherinnen agieren oft konform mit den Behörden eines Landes, vor allem wenn sie selber wirtschaftlich abhängig von diesen sind, durch eine Anstellung oder Beauftragung durch die Behörde zum Beispiel. Nun sind auch diese Dolmetscher und Dolmetscherinnen Menschen, und wir haben ja schon darüber gesprochen, dass Übersetzen sehr viel Interpretationsarbeit ist. Da kann es passieren, dass diese Dolmetscher und Dolmetscherinnen manches aus den Aussagen der Geflüchteten glattbügeln oder weglassen. Vielleicht weil sie denken: Das passt jetzt nicht, das wird zu Konflikten führen. Diese Dolmetscher und Dolmetscherinnen haben also eine Macht; und sie können sie auf zwei Arten wahrnehmen: Sie können sich entweder auf die Seite der Mächtigen stellen oder auf die andere Seite, indem sie die oben erwähnte Strategie der intimsten Lektüre von Spivak aufs Dolmetschen anwenden und versuchen, subversiv zu dolmetschen. Diese Entscheidung kann nur der Mittler oder die Mittlerin selbst fällen, weil ja nur er oder sie Zugang zu beiden Sprachen, Kulturen, Systemen und zu beiden Gesprächspartnern und -partnerinnen hat. Allerdings steht er oder sie dabei unter multiplen Einflüssen, persönlich-biographischer, professioneller, gesellschaftlicher, kultureller, politischer Art.

Abschluss

Und hier könnten wieder Maschinenübersetzungssysteme die bestehenden Macht- oder neutraler: Beziehungsverhältnisse durcheinanderwirbeln. Wir sehen also in der Translationswissenschaft ursprünglich das Verständnis des unsichtbaren Übersetzers, des neutralen Übersetzers. Dann sehen wir das Verständnis der Triade, und wie aktiv diese Übersetzungsrolle eigentlich ist, und nun kommt das Digitale hinzu - als ein Werkzeug das Machtverhältnisse sowohl perpetuieren kann, durch die immer weitere Replikation von Textbruchstücken, die es schon gibt, als auch Machtverhältnisse neu ordnen kann, weil es Übersetzung von außerhalb, in einer triadischen Beziehung herstellen kann.

 

Stefan Baumgarten: Da sind wir jetzt an einem Scheideweg. Wir haben noch keine Theorie in der Translationswissenschaft, die sagt, wie transkulturelle Kommunikation im Digitalen abläuft. Das fehlt uns.

 

Şebnem Bahadir-Berzig: Ich brauche im Moment keine großen neuen Theorien mehr. Ich denke große Theorien und große Erzählungen können uns nichts Neues mehr bringen. Wir müssen vielmehr daran arbeiten, unterschiedliche methodische Zugänge zu unserem Feld zu finden. Partizipativere und reflexivere Forschungsansätze können interessante Wege aufzeigen: Wir sind als Forschende mittendrin in der Digitalisierung. Wir beobachten und beforschen die Auswirkungen der Digitalisierung auf Translationsphänomene, -räume, -momente, -akteur*innen und sind gleichzeitig als Forschende und Lehrende der Digitalisierung ausgesetzt. Die größte Herausforderung wird sein, diese dialektische Bewegung zwischen Beobachtung und Beteiligung kritisch zu reflektieren.

 

Danke sehr für dieses interessante Gespräch!

 

Im Nachgang zu diesem Gespräch haben Sebnem Bahadir-Berzig und Stefan Baumgarten folgende Bücher empfohlen:

 

Obige Gesprächszusammenfassung verfasst und redigiert haben: Viktoria Pammer-Schindler, Mia Bangerl, Şebnem Bahadir-Berzig und Stefan Baumgarten.